Von Björn D. Neumann
Nach einer Ewigkeit hatten sie endlich die Blockhütte erreicht. Eugene parkte den Pick-up direkt vor dem Eingang. Er und seine Freundin Jill, sowie ihr befreundetes Pärchen Jodie und Parker wollten eine College-Auszeit in den Bergen verbringen. Mit viel Alkohol und
Überzeugungskraft hatten die Jungs geplant, endlich den nächsten Schritt in der Beziehung zu ihren Freundinnen gehen zu können. Die Sonne verschwand inzwischen langsam hinter den Baumwipfeln.
»Ich schlage vor, ich lade mit Eugene das Gepäck aus und die Mädels inspizieren schon einmal unser Domizil.«
»Meine Reisetasche kann ich schon alleine tragen, Schatzi«, protestierte Jill und gab ihm einen Knuff in die Rippen.
»Wir sind schon große Mädchen!«, pflichtete ihr Jodie bei.
Eugene hob abwehrend die Hände. »Ist ja gut, die Damen. Dann lasst uns erstmal den Wagen ausladen.« Er schnappte sich die Kühlbox mit Bierdosen unter einen Arm und mit der anderen Hand nahm er eine Reisetasche von der Ladefläche.
Das Innere der Blockhütte entsprach jedem Klischee, das man von solch einem Gebäude mitten im Wald hatte. Neben einem großen Kamin, fehlten weder das Hirschgeweih noch eine Schrotflinte an der Wand.
»Ist ja gruselig«, schauderte es Jodie und ließ sich auf die einladende Couch fallen. »Ich wäre ja viel lieber zum Springbreak nach Florida.« Sie seufzte und verzog den Mund. »Was ist da eigentlich unter dem Bettlaken?« In einer Ecke des Raumes stand ein mannshohes Möbelstück, das von einem weißen Laken verhüllt war.
»Sehen wir doch mal nach!« Parker enthüllte einen Standspiegel mit einem langgezogenen »Tadaa!«. Der Rahmen war aus dunklem Eichenholz, in den Fratzen und dämonengleiche Figuren geschnitzt waren.
»Der ist ja scheußlich«, quietschte Jill. »Wer stellt sich denn so etwas ins Wohnzimmer?«
»Passt doch zum Rest der Einrichtung«, lachte Parker und schlug seinem Freund Eugene auf die Schulter. »Da hast du uns ja eine schnuckelige Behausung ausgesucht. Finden wir hier auch noch das Necronomicon?«
Eugene runzelte die Stirn. »Du liest zu viele Horrorgeschichten. Aber wenn euch das alles hier nicht passt, könnt ihr euch ja demnächst um alles kümmern.«
»Ach komm, Eugene. Ist doch nur Spaß.« Jill strich ihm beschwichtigend über den Arm und warf Parker und Jodie einen bösen Blick zu. »Die beiden meinen es nicht so. Oder?«
»Alter, stell dich nicht so an. Trink erstmal was.« Parker warf Eugene eine Bierdose aus der Kühlbox entgegen, die dieser mühelos mit einer Hand fing.
»Wir sollten jetzt Essen machen«, schlug Jodie vor. »Alle Mann ab in die Küche! Auch die Herren der Schöpfung!«
»Ich komme gleich nach«, sagte Jill und hob das Laken auf, um den hässlichen Spiegel wieder zu verhüllen. Auf dem Weg hinaus in die Küche drehte sie sich noch einmal um. Es war ihr, als hätte sie ein Wispern aus Richtung des Spiegels gehört.
***
Parker rieb sich den Bauch. »Was für ein gar köstliches Mahl.«
Die beiden jungen Frauen sahen sich entgeistert an. »Baked Beans mit Toast und Spiegeleiern. Du bist ja leicht zufrieden zu stellen«, witzelte Jill.
»Du glaubst gar nicht, wie einfach man mich zufriedenstellen kann.« Parker trat hinter sie und knabberte an ihrem Ohrläppchen.
»Lass das, du Wüstling«, kicherte sie gespielt. »Diese Art Befriedigung habe ich nicht gemeint.«
»Apropos. Was machen wir jetzt mit dem angebrochenen Abend?« Eugene hob grinsend eine Flasche Scotch hoch. »Wie wäre es mit Flaschendrehen?«
»Wie alt bist du, Eugene?« Jill zog eine Augenbraue hoch.
»Alt genug für Scotch und andere Dinge.«
»Soso. Ich weiß nicht, was du meinst.«
»Doch, das weißt du ganz genau.« Eugene drückte Jill einen Kuss auf.
»Meinetwegen. Aber lass deine Finger bei dir.«
***
Jodie kippte den Shot in einem Zug hinunter.
»Eigentlich schade«, bemerkte Parker. »Ich hätte lieber erfahren, ob du schon mal was mit einer Mitstudentin gehabt hast.« Vielsagend zwinkerte er Eugene zu.
»Mein Gott, geht es auch weniger kindisch.« Jill war genervt. »Lasst uns was anderes machen.«
»Was schlägst du vor?«, fragte Parker neugierig.
Jill druckste herum. »Glaubt ihr an Geister?«
»Was soll die Frage jetzt?« Jetzt war Eugene genervt. »Das ist nicht kindisch?«
Jill ignorierte den Einwand. »Kennt ihr die Legende von ‘Bloody Mary’?«
»Was soll das sein?« fragte Jodie neugierig.
»Nun, man muss sich mit einer Kerze vor einen Spiegel setzen und dreimal ‘Bloody Mary’ sagen. Dann erscheint sie.«
»Damit spielt man nicht!« Eugene klang aufgebracht und stand auf.
»Sei kein Spielverderber, Eugen«, versuchte Jill ihn umzustimmen.
Mittlerweile war draußen ein Gewitter aufgezogen. Blitze zuckten am Himmel und Donner grollte über den Wald.
»Also, wir gehen jetzt nach oben. Gute Nacht, ihr beiden.« Parker nahm Jodie in den Arm und ging mit ihr Richtung Treppe zum oberen Geschoss, in dem sich die Schlafzimmer befanden. Auf dem Treppenabsatz drehte er sich noch einmal kurz um und zwinkerte Eugene verschwörerisch zu.
»So, jetzt sitzen wir zwei Hübschen hier. Was machen wir mit dem angebrochenen Abend?«, fragte Eugene mit einem Tonfall in der Stimme, der keinen Zweifel an seinen Hintergedanken ließ.
»Hm, vielleicht habe ich da eine Idee.« Sanft küsste sie Eugene, der ihren Kuss leidenschaftlich erwiderte. Dabei drückte er sie in die Kissen des Sofas. Eine Hand schob sich langsam die Innenseite ihrer Schenkel hoch. Die andere suchte den Weg unter ihren Sweater.
»Langsam, Cowboy!« Jill entzog sich der Umklammerung.
»Stell dich jetzt bitte nicht an«, keuchte Eugene und versuchte, die vorherige Ausgangsposition einzunehmen.
»Spinnst Du?« Jodie stieß ihn von sich weg. »Ich bin noch nicht so weit. Und vor allem nicht hier.«
»Wofür bist du dann mitgekommen?«
»Damit wir uns besser kennenlernen?« Jodie stieß hörbar Luft aus.
Aus dem oberen Schlafzimmer war inzwischen deutlich lustvolles Stöhnen zu hören. »Wenigstens haben die ihren Spaß. Ich gehe ins Bett. Du kannst ja nachkommen, wenn du wieder normal bist.«
»Darauf kannst du lange warten«, rief Jill ihm hinterher und mehr zu sich selbst: »Was für ein Idiot!«
***
Jodie musste eingeschlafen sein. Jedenfalls wurde sie durch irgendein Geräusch geweckt. Im Haus war es stockdunkel. Das Gewitter hatte sich verzogen und der Mond erhellte nur leicht das Zimmer und schien direkt auf den verhüllten Spiegel. War da nicht ein Flüstern aus dessen Richtung zu hören? ‘Sieh mich an’ schien jemand aus dem Spiegel zu rufen. Wie in Trance ging Jill darauf zu und zog das Laken weg. Dann ging sie zum Kamin, holte vom Sims eine Kerze und Streichhölzer. Damit setzte sie sich vor den Spiegel und entzündete die Kerze.
»Bloody Mary! Bloody Mary! Bloody Mary!«, dreimal beschwor sie diesen Namen und aus der Ferne grollte erneut ein Donnern.
***
Eugene öffnete die Augen. Er lag ausgestreckt auf dem Bett. Im Dunkeln erkannte er schemenhaft eine Gestalt. Als ein Blitz des wieder herangerückten Gewitters das Zimmer erhellte, erstarrte er. Mit einem irren Grinsen blickte sie ihm entgegen. In der Hand hielt sie einen schweren Vorschlaghammer. »Du willst ficken?«, fragte eine nichtmenschliche Stimme. »Fick dich selbst!« Der erste Schlag traf ihn mit voller Wucht zwischen den Beinen. Als er wimmernd um Gnade bettelte, zertrümmerte der zweite Schlag seinen Schädel.
***
Jodie bewegte sich rhythmisch, sitzend auf Parker. Der bemerkte den ungewollten Besuch als Erster und stieß Jodie von sich herunter. Als sie gerade anfing, sich lautstark zu beschweren, folgte sie Parkers entsetztem Blick. Jodie schrie und floh panikartig aus dem Zimmer, während die Gestalt Parker mit ihrem Blick fixierte. Jodie rannte die Treppe hinunter, als sie gellende Schreie aus dem Schlafzimmer hörte. Als ihr Blick nach der Schrotflinte über dem Kamin suchte, fand sie nur die leere Gewehrhalterung.
»Suchst du die hier, Schlampe?«
Langsam drehte sie sich um und sah in die Läufe der Flinte. Das Letzte war ein Blitz.
***
Jill erwachte wie aus einer Betäubung. Sie musste erst einmal ihre Gedanken sortieren. Wie verkatert sah sie sich um. Alles war dunkel. Es musste noch Nacht sein. Schlaftrunken tappte sie durch das Zimmer, rutschte auf einer klebrigen Flüssigkeit aus und schaltete das Licht ein. Ein erstickter Schrei brach aus ihrer Kehle hervor. Auf dem Boden lag Jodie in einer Blutlache. Nackt. Sie rannte nach oben, suchte Eugene und Parker. Sie fand beide mit zertrümmerten Gliedmaßen in ihren Zimmern. Geistesgegenwärtig durchsuchte sie Eugenes Hose, die über einem Stuhl hing, nach den Autoschlüsseln. Sie hörte ein Keuchen. Blickte sich um, aber sah nichts. Sie stürmte hinaus zum Auto. Eine Gestalt stand in der Haustür. Sie drehte den Schlüssel. Stottern. Versuchte es noch einmal. Wieder nichts. Beim dritten Versuch endlich Erfolg. Kieselsteine stoben auf, als sie rückwärts zurücksetzte und wendete. Dann gab sie Vollgas und jagte den Waldweg entlang. Nach einigen hundert Metern kam Jodie langsam zur Ruhe. Erst jetzt bemerkte sie ihre blutverschmierten Hände. Ängstlich schaute sie in den Rückspiegel. Sie riss die Augen auf. Was sie sah, ließ ihr Blut in den Adern gefrieren.
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